Redebeitrag des DVV-Vorsitzenden Martin Rabanus
Grußwort des DVV-Vorsitzenden Martin Rabanus
75 Jahre Landesverband der Volkshochschulen in NRW
Mittwoch, 26. Oktober 2022, 18 Uhr, Landtag Nordrhein-Westfalen
– Es gilt das gesprochene Wort! –
Sehr geehrter Herr Landtagsvizepräsident Schmeltzer,
Sehr geehrte Frau Ministerin Brandes,
verehrte Abgeordnete des NRW-Landtags,
lieber Herr Hebborn und liebe Kolleginnen und Kollegen aus den NRW-Volkshochschulen, aus den Gremien und aus der Geschäftsstelle des Landesverbands
verehrte Gäste,
Von NRW sind schon viele Impulse ausgegangen, für die Weiterbildung allgemein und für die Volkshochschulen im Besonderen. Erst kürzlich hat sich der NRW-Landtag auf Antrag der Regierungskoalition aus CDU und Bündnis 90/Die Grünen einstimmig für eine verbindliche Umsatzsteuerbefreiung der gemeinwohlorientierten Weiterbildung ausgesprochen. Ein erster richtungsweisender Beschluss auf Länderebene. Er wird hoffentlich beispielgebend sein für ähnliche Vorstöße weiterer Bundesländer, um so die dringend notwendige gesetzliche Klarstellung auf Bundesebene zu erwirken.
Denn wir brauchen einen niedrigschwelligen und kostengünstigen Zugang zu Angeboten des lebenslangen Lernens, wie sie in dieser Breite nur in den Programmen der Volkshochschulen zu finden sind. Menschen müssen in jedem Alter und in jeder Lebensphase die Möglichkeit haben, Kenntnisse und Fähigkeiten zu erwerben, die ihnen dabei helfen, die Herausforderungen ihres Lebens zu meistern. Das können individuelle Herausforderungen sein, wie sie gerade hier in NRW vielerorts der wirtschaftliche Strukturwandel mit sich gebracht hat, der Menschen zu beruflichen und auch persönlichen Neuorientierungen gezwungen hat. Es geht aber auch um die gesellschaftlichen Herausforderungen, die sich aus globalen Transformationsprozessen ergeben – wir denken an die Digitalisierung und den fortschreitenden Klimawandel. Und auch um den Herausforderungen gewachsen zu sein, vor die uns aktuelle Krisen stellen.
Wir erleben, wie diese Krisen, sei es die Corona-Pandemie oder auch die gegenwärtige Energie-Krise, unseren gesellschaftlichen Zusammenhalt auf die Probe stellen. Wir erleben, wie in einer solch sorgenvollen Stimmungslage vereinfachte populistische Deutungsmuster die öffentliche Debatte polarisieren können. Umso wichtiger ist es, dass die Volkshochschulen Aufklärung leisten, dass sie Menschen in die Lage versetzen, komplexe Zusammenhänge besser zu verstehen, ihr Urteilsvermögen zu schärfen und handlungsfähig zu bleiben. Dass Volkshochschulen Räume bieten für den respektvollen Austausch von Meinungen und für ein besseres Verständnis unterschiedlicher Interessen und Perspektiven.
In diesem Sinne sind Volkshochschulen unverzichtbare „Werkstätten der Demokratie“, wie es der frühere Bundespräsident Joachim Gauck einmal formuliert hat. Volkshochschulen stehen für einen vitalen demokratischen Diskurs, für das Fördern von gesellschaftlicher Integration, Teilhabe und Chancengerechtigkeit. All das bildet die Basis für einen starken gesellschaftlichen Zusammenhalt, den wir gerade in diesen herausfordernden Zeiten so dringend brauchen.
Es ist kein Zufall, dass die großen Gründungswellen der Volkshochschulen, 1919 und 1946, in Zeiten des Wiederaufbaus nach verheerenden Kriegserfahrungen fielen, als es galt, eine neue demokratische Kultur in den Köpfen und Herzen der Menschen zu verankern.
Hier in NRW hat dieser starke Gründungskonsens seinen Niederschlag gefunden in einem starken Weiterbildungsgesetz, das bis heute beispielgebend ist für die Entwicklung der Weiterbildungsgesetzgebung in anderen Bundesländern.
1953 war NRW das erste Bundesland, das sich ein Weiterbildungsgesetz gab und darin die Weiterbildung als gleichberechtigten Teil des Bildungswesens festschrieb. Und NRW war das erste Bundesland, das Volkshochschulen darin als kommunale Pflichtaufgabe formulierte. Dieser Grad an Verbindlichkeit ist bundesweit bis heute eine Ausnahmeerscheinung. Und das Weiterbildungsgesetz macht die kommunal verankerten NRW-Volkshochschulen in einem weiteren Punkt stark: Das Gesetz definiert, dass die Weiterbildung all das zu umfassen hat, was dazu beiträgt, die Entfaltung der Persönlichkeit zu fördern und die Fähigkeit zur Mitgestaltung des demokratischen Gemeinwesens zu stärken. Das Weiterbildungsgesetz in NRW definiert das komplette Programmangebot der Volkshochschulen als Bildung im ganzheitlichen Sinne. Und es ist dieser universelle Bildungsbegriff, um dessen Anerkennung die vhs-Familie in vielen Bundesländern und auch auf Bundesebene noch immer ringt.
Auch in NRW ist das starke Weiterbildungsgesetz den Volkshochschulen selbst zu verdanken, die sich vor 75 Jahren zum vhs-Landesverband zusammenschlossen und fast unmittelbar damit begannen, sich für eine gesetzliche Grundlage ihrer Arbeit stark zu machen.
Bis heute haben die 131 Volkshochschulen in ihrem Landesverband eine starke Stimme. In keinem anderen Bundesland ist die institutionelle Förderung durch das Land so hoch. Und der Dachverband der Volkshochschulen hat mit dem NRW-Landesverband ein starkes Mitglied. Die NRW-Volkshochschulen sind nicht nur besonders stark und profiliert in der politischen Bildung, sondern vor allem auch in der Grundbildung, in der Integration Zugewanderter und im Bereich des zweiten Bildungswegs. Dies mag mit dazu beitragen, dass die Volkshochschulen in keinem anderen Bundesland so viele Unterrichtsstunden leisten wie hier in NRW. Die Städte, Gemeinden und Landkreise haben in ihren Volkshochschulen starke Partnerinnen, um auf spezifische Weiterbildungsbedarfe vor Ort zu reagieren. Und mein Eindruck ist: Sie wissen zu schätzen, was ihre kommunalen Weiterbildungszentren, die Volkshochschulen, leisten.
Zur Bewältigung individueller und gesellschaftlicher Herausforderungen kann die Weiterbildung, können Volkshochschulen als Bildungspartner von Bund, Ländern und Kommunen Enormes beitragen. Der Deutsche Volkshochschul-Verband weist deshalb gegenüber der Bundesregierung beständig darauf hin, dass Weiterbildung ein integraler Bestandteil politischer Zukunftsstrategie sein muss – wohlwissend, dass auch die Volkshochschulen selbst den gesellschaftlichen Krisen und Transformationsprozessen unterworfen sind und Unterstützung brauchen, wenn es um Organisationsentwicklung geht, um eine moderne und leistungsfähige Ausstattung und um bestens qualifiziertes Personal. Eine gelingende Bildungspartnerschaft kann also nur auf Gegenseitigkeit beruhen.
Aus der Perspektive des vhs-Dachverbandes kann ich sagen: Es tut gut, die engagierte vhs-Familie in NRW an der Seite zu haben und mit ihr auch die Kommunen und ihre Spitzenverbände. Das stärkt unsere Durchsetzungskraft.
Ich gratuliere dem vhs-Landesverband ganz herzlich zu seinem 75-jährigen Bestehen und wünsche ihm und den Volkshochschulen in NRW anhaltenden Erfolg, damit wir auf Bundesebene auch weiterhin Rückenwind aus Düsseldorf spüren.
Martin Rabanus ist seit 2019 Vorsitzender des Deutschen Volkshochschul-Verbandes. Rabanus ist SPD-Politiker, der dem Deutschen Bundestag von 2013 bis 2017 für die Wahlkreis Rheingau-Taunus-Limburg angehörte. Ab 2018 war er Sprecher für Kultur und Medien der SPD-Bundestagsfraktion.